Wer heute die Bergwelt rund um Sillian erwandert, wird mit dem atemberaubenden Anblick der Lienzer Dolomiten und der Schönheit der Karnischen Alpen belohnt. Doch viele der Pfade in diesem Gebiet dienten einst einem völlig anderen Zweck als der Lust an der Bergfreude. Sie waren Schauplätze eines oftmals gefährlichen Katz-und-Maus-Spiels:  des Schmuggels.

Ein Blick in eine längst vergangene Zeit offenbart eine Geschichte, die von mutigen Frauen und Männer erzählt. Unter Lebensgefahr trugen sie auf schmalen, unbefestigten Wegen Waren über die nahe Grenze nach Italien. In den Hochalpen gestaltete sich dieses geheime Treiben als besonders waghalsig. Auf den schmalen, unbefestigten Wegen lauerten Gefahren wie Steinschlag, Lawinen und plötzliche Wetterumschwünge. Dieses alpine Abenteuer lässt sich heute beim Wandern auf zum Glück sicheren und gut markierten Wegen auf historischen Spuren erahnen. Besonders gut gelingt das im Hochpustertal.

Hochpustertal, Karnischer Höhenweg © Tirol Werbung_Schels Sebastian_Sillian

Von Alkohol über Kaffee bis zu Rindern

Sillian und das Osttiroler Hochpustertal befinden sich seit jeher im Herzen Europas, aber auch direkt an einer wichtigen Grenze. Jener zu Südtirol und somit zu Italien. Grenzen bedingten oft unterschiedliche Preise und Steuern. Ganz zu schweigen von der Verfügbarkeit von Waren. Kein Wunder also, dass der Schmuggel besonders in wirtschaftlich kargen Zeiten eine Blütezeit erlebte. Zum Beispiel nach den Weltkriegen. Für viele Einheimische stellte er schlicht eine Notwendigkeit dar, um das Überleben ihrer Familien zu sichern. Die Liste der geschmuggelten Waren ist lang und spiegelt die Bedürfnisse der jeweiligen Zeit wider. Vieh, vor allem Rinder, wurde häufig über die „grüne Grenze“ getrieben. Tabak, Saccharin (als Zuckerersatz), Kaffee, Alkohol, aber auch einfachere Güter wie Salz oder Nähzeug fanden ihren Weg in den Kraxen (Rückentragen) der Schmuggler, die man auch Schwärzer nannte, über die Berge. Schwärzer, weil sich die Schmuggler für ihre gefährlichen Wanderungen zur Tarnung in dunkle Tarnung hüllten. Der Warentransfer funktionierte im Übrigen in beide Richtungen. Immer abhängig davon, was auf welcher Seite der Grenze gerade Mangelware oder signifikant teurer war.

Mutige Einheimische und wachsame Finanzer

Die Schmuggler waren aber keine romantisierten Heldenfiguren, sondern meist einfache Bauern, Holzknechte oder Handwerker. Menschen mit exzellenten Ortskenntnissen, Zähigkeit und Mut. Sie kannten jeden Stein, jeden verborgenen Pfad und beherrschten die Kunst der lautlosen Fortbewegung im unwegsamen Gelände. Ihre Touren fanden oft nachts, bei Nebel oder schlechtem Wetter statt, um den Verfolgern zu entkommen. Vor allem Zollbeamte, die man hierzulande respektvoll-ironisch als „Finanzer“ bezeichnete, hefteten sich an die Fersen der Schmuggler. Diese Finanzer waren meistens ebenfalls Einheimische, die ihren Dienst versahen. Vertraut mit den Tricks der Schmuggler patrouillierten sie oft unermüdlich die Grenzkämme. Es entwickelte sich ein ständiges Belauern, ein Wettlauf zwischen List und Ausdauer. Nicht selten endeten Begegnungen dramatisch, doch manchmal wurde auch ein Auge zugedrückt – man kannte sich schließlich im Tal. Die Strapazen waren für beide Seiten enorm: schwere Lasten, extreme Wetterbedingungen und die ständige Gefahr, entdeckt zu werden oder in den Bergen zu verunglücken.

Bild links: Hochpustertal, Karnischer Höhenweg © Tirol Werbung_Schels Sebastian_Sillian
Bild rechts: Sillian, Leckfeldalm Hütte – Sillianer Hütte – Heimkehrer Kreuz © TVB Osttirol_Isep CK_Sillian

Wandern mit historischem Bezug

Heute gehören die Zeiten des organisierten Schmuggels der Vergangenheit an. Die Wege jedoch, die einst unter Lebensgefahr begangen wurden, existieren noch immer und sind nun Teil des faszinierenden Wanderwegenetzes rund um Sillian. Wer die Wanderschuhe schnürt und sich aufmacht, die Bergwelt südlich von Sillian zu erkunden – etwa in Richtung Helm, Hornischegg oder entlang des berühmten Karnischen Höhenwegs –, wandelt buchstäblich auf den Spuren der Schmuggler. Es lässt sich erahnen, wie es gewesen sein muss, hier bei Nacht und Nebel mit einer schweren Kraxe auf dem Rücken entlangzuschleichen. Jeder Schritt auf diesen historischen Pfaden verbindet das grandiose Naturerlebnis mit einem Hauch von Abenteuer und Geschichte. Besonders Wagemutige achten auch auf kaum sichtbare Steige, die vom Hauptweg abzweigen. Oder auf Felsformationen, die einst als Verstecke gedient haben könnten.

Ein unvergessliches Erlebnis für Körper und Geist

Somit ist eine Wanderung auf den alten Schmugglerpfaden bei Sillian mehr als nur sportliche Betätigung. Man unternimmt eine Zeitreise, die Respekt vor der Leistung und dem Wagemut früherer Generationen weckt. Die majestätische Ruhe der Berge, die heute so friedlich daliegen, lädt zum Innehalten ein. Wer dem Wind lauscht, dem flüstert er vielleicht noch die eine oder andere Geschichte aus jener wilden Zeit des Schmuggelns zu. Ein gepackter Rucksack und ein bisschen Kondition ermöglichen es, die verborgenen Seiten der Sillianer Bergwelt selbst zu entdecken.

Sillian, Leckfeldalm Hütte – Sillianer Hütte – Heimkehrer Kreuz © TVB Osttirol_Isep CK_Sillian

Hier geht’s lang!

  • Gebiet um den Helm: Der Hausberg bietet nicht nur fantastische Ausblicke, sondern war auch ein klassisches Schmugglerrevier. Wege führen hinüber auf die italienische Seite.
  • Karnischer Höhenweg (Abschnitte nahe Sillian): Dieser Weitwanderweg folgt dem Grenzkamm. Viele kleine Pfade kreuzten hier einst die Grenze. Eine Wanderung zur Sillianer Hütte oder Leckfeldalm führt mitten hinein in dieses Gebiet.
  • Wege ins Schustertal oder zum Obstanser See: Auch weiter westlich im Gemeindegebiet gab es Übergänge, die von Schmugglern genutzt wurden.